Nina Mielcarczyk

ALINE WITSCHI

Aline Witschi

Pearls of Heavy Feelings on Rainbows` Ground

In ihrer ersten Einzelausstellung in unserer Galerie präsentiert Aline Witschi eine Auswahl von Werken aus ihrer aktuellen Praxis, in denen ihr feiner Blick auf Körper und seine Schwellenmomente auf beeindruckende und neue Weise zum Ausdruck kommt. Vertraute Motive ihrer bisherigen Arbeiten verbinden sich in „Pearls of Heavy Feelings on Rainbows’ Ground“ mit einer wachsenden formalen Verspieltheit, sodass ihre Objekte in einem neuen Horizont künstlerischer Dynamik erscheinen.

Nach der Doppelausstellung “Träumt der Kokon vom Fliegen?” mit Olga Jakob, in der Witschis Arbeiten bereits bei uns zu sehen waren, eröffnet sich diese neue Dynamik der Formen nun in “Pearls of…” durch monumentalere Arbeiten, u.a. das große, mehrteilige Wandrelief, oder ganz neuartige Ansätze wie der Brunnen und die Perlenkette, die ihre installativeren Arbeiten ergänzen. Diese Experimentierfreude treibt Witschis unmögliche Suche nach Anfängen und Enden an, anhand derer sie ihre postmaterielle Kosmologie innerhalb der Ausstellung schafft, in der sterbliche und unsterbliche Körper miteinander verschmelzen. Wir finden menschliche Körper mit Sternschnuppen verwachsen vor, Austernperlen als Gefühlswelten, Landschaftselemente als Organe, etc. “Wo hört die Erde auf, wo fängt der Himmel an?”, stellt Witschi als Gegenfrage, als ich mich nach den mehreren Horizonten im Relief erkundige.

Eine grenzgängerische Einstellung informierte Witschis Prozess schon immer, speist ihre fairycore-coded Zeichensprache, überträgt sich schließlich in die Perspektive der Betrachtenden, denen die Vielzahl an Küsten und Stränden in den gezeigten Arbeiten in neuen Licht erscheinen (Sie beschreibt es reizenderweise als “ozeanische Dimension in meiner Arbeit”). Die Küste als Ort der Übergänge, mit jeder Welle anders, der Rhythmus zwar stabil, doch niemals gleich, da wo die Sonne ins Meer fällt und nie-vereinbares doch vereinbar wird. Diese, sicherlich romantische, doch vor allem versöhnliche Blickart kontrastiert sich wiederum in der darunterliegenden Ohnmacht und überwältigenden Allgegenwärtigkeit, die diese Perspektive miteröffnet. Witschi versteht das Wort “Grenzenlosigkeit” sicherlich anders als vergleichbare Zeitgenoss_Innen, fällt kein lesbares Urteil über unsere Körper als Gerüste für das Erwachsen von Gefühlen und Gedanken, als Zwischenräume von molekularen Prozessen, Stromkreisläufen und zuletzt Verwesung — oder eben zu Beginn. Sie ist schlichtweg fasziniert. Folgen wir Witschi löst sich Zeit schnell von Linearität, so wie die Körper von ihrer Abtrennung voneinander. Assimilations- und Dissimilationsprozesse (Gravity’s Rainbow!) verlaufen sich in Witschis gewaltiger Vision von Verschmelzung und seines Misslingens, sodass all unsere traumhaft schönen, wie existenziell öden Fantasien und Sehnsüchte zusammenkommen und bisschen abhängen können, befreit vom schnöden Vergehen ihrer Temporalitäten, and isn’t that nice?

“Pearls of Heavy Feelings’ on Rainbows Ground” beschreibt die Reise zu diesem unmöglichen Ort bereits in seinem Titel, lokalisiert ihn dort, wo sonst der ominöse Goldtopf versteckt wäre, doch nun das Produkt der Körper an seine Stelle tritt — die Perlen.

[Text: Fredi Thiele]

Aline Witschi

Installation view: Aline Witschi, Pearls of Heavy Feelings on Rainbows` Ground, 2024

Aline Witschi, Slight Distractions, 2024, Bleistift auf Papier, gerahmt, 69 x 59 x 3 cm

Aline Witschi, (1) A New Day. (2) Liquid Skin. (3) Serpentine Their Wounds Away, 2024, gebrannter Ton,  ≈ 54 x 34 x 5 cm