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NINA MIELCARZCYK

Timo Herbst
Aux Folies

10.1. – 21.2.2025

Wer sich in Räumen bewegt, bewegt Räume. Jeder Blumenkübel, jedes stehen gelassene Fahrrad, jede An- und jede Abwesenheit verändert Wahrnehmung und Wege, und der alltägliche Tanz wird ein anderer. Öffentlicher Raum wird von denen bestimmt, die sich darin befinden. Er definiert sich, indem er genutzt wird: Bewegungen (unsichtbar und sichtbar) werden zur Choreographie, und die Choreographie der alltäglichen Bewegungen wird durch sich selbst geändert. Es entstehen Schichten der instinktiven Performance städtischen Raumes. Diese Schichten deckt Timo Herbst auf. Er macht sie sichtbar, legt sie neu übereinander, dann aneinander, setzt sie in Bezug und bricht diesen gleich.

»Folies« heißt: die Verrückten, Entrückten, die Be- trunkenen, die Verschobenen. Dekonstruktivistisch und rot stehen die Stahlstrukturen mit dem gleichen Namen von Architekt Bernard Tschumi im Parc de la Villette in Paris verteilt – drum herum passiert die Choreographie Stadt. Die ausgestellten Drucke Aux Folies greifen ihre Rhythmen auf, zeigen Überlagerungen und Verflechtungen, in denen die Architektur des Parks neu komponiert wird: Formen erscheinen, verschwinden und verschränken sich. Ursprünglich Teil einer begehbaren Rampe, die im Sommer 2023 im Park installiert war, thematisieren die Drucke das Wechselspiel zwischen physischer Bewegung und architektonischer Wahrnehmung.

Zur Architektur werden auch Autogestion – die ausgestellten Zement-Arbeiten sind der Zwischenschritt zu gleichnamigen skatebaren Skulpturen, die 2025 für das MSU (zeitgenössische Museum) in Zagreb entstehen werden. Die DIN-formatigen Zementblöcke tragen Abbilder sozialmoderner Architekturelemente der 1960er bis 1980er Jahre in Novi Zagreb (ehemaliges Jugoslawien). Der Titel Autogestion: ein Verweis auf die sozialistische Idee der Selbstverwaltung der Arbeits-Strukturen. Die Lack - Zeichnungen auf Zement verweisen darauf, wie sich die gesellschaftliche Haltung im Gebauten manifestierte, fragmentieren und rekonstruieren dabei die Spuren von Architektur, und der Utopie, die sie entwarf.

Spuren von Utopie untersucht auch Shanghai Cable (Part 2). Gefilmt entlang der Straßen des Greenland Bund in Shanghai entlang der Stufen dessen Gentrifizierung: traditionelle Viertel, gefolgt von ihrem Abriss, gefolgt von Neubau und Inbetriebnahme cleaner Hochhauslandschaften. Chronologisch projiziert auf neun Holztafeln bricht das Video immer wieder. Einschübe verschiedener Evolutionsstufen des Städtebaus treten in den Dialog, kontrastieren und überlagern sich, fordern die Betrachtenden zur Auseinandersetzung heraus: mit der Dynamik der Stadt, die plötzlich wie von außen zu betrachten ist, wo man doch eigentlich immer Teil des Ganzen ist.

Timo Herbst macht in seinen Arbeiten Raum zur Protagonistin und den Menschen zur Bühne, tauscht die Rollen wieder und schaut, was passiert. Dazwischen entsteht Reibung. Störfaktoren an Stellen, wo man sich sonst nicht stört (oder nicht weiß wieso), lenken die Aufmerksamkeit auf die unbewusst passierenden Rhythmen, die Herbst bewusst zum Thema macht.

Rhythmen, Rhythmen. Sie enthüllen und sie verbergen, sagt Henri Lefebvre zur Rhythmusanalyse, die auch Herbst betreibt. In der Ausstellung Aux Folies präsentiert er drei Arbeitsreihen. Alle drei sind verschiedene Ansätze der Analyse. Architektur ist dabei nicht statische Form, sondern dynamischer Prozess – bewegend und bewegt zugleich.

Text: Inga Krumme