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NINA MIELCARZCYK

Timur Lukas
Goat

3.5. – 13.6.2025

Steigende Stresslevel, Zukunftsangst, Burn-Out, Depression, zu viel zu tun, Freizeitmangel. Heute fühlen zusehends mehr Menschen Phänomene der ‚Beschleunigung‘. Dieser Sammelbegrif für eine ganze Menge von verwandten Efekten, wird immer mehr zum Anlass von Selbsthilfe-/Sachbüchern, (wissenschaftliche) Artikeln, Instagram-Captions, TikToks, etc. Werbung natürlich vor allem anderen. Soweit muss dennoch nicht einmal geschaut werden: Im Austausch mit Freund_Innen und Familie ist der Wunsch nach Ruhe und Entschleunigung zu einem großem Thema changiert — Ganz abgesehen davon, ob der “slow down” nun schlechthin der beste Slogan der Wellness-Industrie, oder vielleicht die neue Freizeitgestaltung der aufblühenden ‚slow‘- Industrien meint (siehe Luxus Detox-Resorts, Spa-Weekends, oder ‚lite-mindfulness lunchtimes‘) — so oder so, ist es ein Phänomen, dass die Menschen sichtlich beschäftigt.

‚GOAT‘ — Timur Lukas erste Soloausstellung bei uns — präsentiert der Künstler eine Reihe von Malereien, die in gleich mehrfacher Hinsicht mit der beschriebenen Lage umgehen. Lukas präsentierte zuletzt Werke bei uns, deren historische Sujets sich intensiv mit Archivrecherche beschäftigten. Doch nun ist eine klare Verschiebung zu sehen. Im Zuge einer Residenz verschlug es Lukas 2024 nach Portugal, wo er sich neu mit mit den Fragen von Entschleunigung und Stress konfrontiert fand. Nicht nur dank der Selbstversorger-Yoga-Slowness Community, die das Resort bevölkert, sondern auch bspw. anhand von Anblicken wie den den schweigenden Gruppen an Menschen, die abends auf den Ozean starren. Portugals leere Strände.

Aus diesem Innehalten, dem Wunsch nach Beiläufigkeit, Unverkopftheit, folgend beginnt Lukas die Tiere des Resorts zu zeichnen, schnelle Skizzen, Farben aus dem Baumarkt, DIY. Dies ermöglichte ihm, so Lukas selbst, losgelöster zu arbeiten — Selbstlimitation zur Selbstbefreiung. Die Verbindung mit alten Gewohnheit zurück im Atelier schaft schließlich die hybride Form, die nun gezeigt wird. Charakterisiert von den beinahe zu Papier hinuntergeschleiften Leinwänden —mit Champagnerkreide und Hasenleim als Grundierung — dienen als Analog des Skizzenblock, flächige Farbnutzung, Tintenfeder und die Tiermotive schaffen sofort eine klare Rahmung, die der Naivität der Arbeiten jedoch nichts abtut. Sie bieten dem Blick genug Struktur, sodass das Auge gleiten kann, anstatt verloren zu gehen in den ofenen Linien und allgemeinen Verspieltheit. Von ihrer Entstehungsgeschichte und Stil abgesehen, erzählen auch die ausgewählten Tiermotive von Zwischenmomenten — so bleibt es meist unklar ob sich die Tiere in Bewegung befinden, innehalten, zaudern, zögern oder gar posieren — fangen immer wieder die Augen mit ihren ein, insbesondere eben die namensgebende Ziege z.B.

Hier ist Entschleunigung in ihrer höchsten Form zu wiederfinden, nicht als Ware, Linderung oder Meme, sondern als wahrhafter Moment ohne Zeitlichkeit, gleichsam vor- und hinter sich verweisend. Nennt es Pause, Intervention, Ablenkung — was diese Wörter und Gemälde wirksam machen, ist ein Verharren im Latenten, bloßer Möglichkeit. Dasselbe was vielleicht auch die Menschen, die auf den Ozean starren dort zu verorten suchen, oder eben unser Blick ins Ziegenauge — die Frage ist:  Wer starrt zurück?

Text: Fredi Thiele